Stets auf der Suche nach neuen Wegen

Artikel von Jörg Worat aus der Zeitschrift „Nobilis“, Ausgabe 03/2018

Horizont  •  2006 •  104 x 140 cm • Öl auf Leinwand
Horizont • 2006 • 104 x 140 cm • Öl auf Leinwand

Kennen Sie schon alles, was man mit Ölfarbe anstellen kann? Wer ein schnelles „Ja“ auf der Zunge hat, sollte lieber erst einmal den hannoverschen MALER BERNHARD KOCK besuchen.

„Dieses Bild verstehe ich nicht“, sagt Bernhard Kock. Angesichts der Tatsache, dass die Malerei, vor der wir gerade stehen, von ihm selbst stammt, mag die Aussage zunächst befremdlich erscheinen. Doch tatsächlich ist sie typisch: Kock entwickelt sich in seiner Kunst ständig weiter, ist stets auf der Suche nach neuen Wegen – und überrascht sich dabei eben auch schon mal selbst. Wir befinden uns in der Lindener Stärkestraße. Die Nummer 27 ist ein schmales Haus, in dem der 56-jähriger Maler auf zwei Etagen eine Art Bilderlager eingerichtet hat, aber auch seine beliebten „Offenen Ateliers“ veranstaltet. Jede Menge Arbeiten sind hier zu sehen und zwar unterschiedlichster Natur: Sie können figürlich sein oder landschaftlich, meist aber muten sie abstrakt an, wobei Kock aus gutem Grund den Begriff „konkrete Kunst“ bevorzugt. Denn die Darstellungen abstrahieren nicht im eigentlichen Sinne, sie beziehen sich nicht auf vorgegebene Motive, sondern stehen für sich selbst. Und das Thema ist das Material, die Farbe. So hat Kock, 1992 einer der allerersten Meisterschüler an der hannoverschen Kunst-Fachhochschule, auch begonnen. Für eine frühe Serie hat er beispielsweise mit flächigem Einsatz von Bleimennige gearbeitet, die gemeinhin in erster Linie als Rostschutzmittel verwendet wird – ihm gefiel die spezielle Rottönung. Wer übrigens glaubt, Künstler leben ungefährlich, kann sich in diesem Zusammenhang eines Besseren belehren lassen: Die Dämpfe der Mennige umnebelten den Künstler derart, dass er kurzfristig ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Inzwischen hat sich der aus Meppen gebürtige Kock einen Namen gemacht, der weit über die Stadtgrenzen hinausgeht. Seine Arbeiten sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, 2010 war der Maler an einem Workshop im japanischen Nagoya beteiligt. Just hat er das Künstlerstipendium für die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim erhalten, das er in diesem Monat antreten wird. Neben dem charmanten Stärkestraßen-Haus steht ihm in der „Ateliergemeinschaft Bettfedernfabrik“ eine zweite Wirkungsstätte zur Verfügung. So facettenreich Kocks Werk auch ist, zeigen sich doch immer wieder Gemeinsamkeiten. Schichtungen etwa spielen eine große Rolle und originelle Arbeitsmethoden: Oft treibt der Künstler die Ölfarbe mit Werkzeugen vom Rakel über Tücher bis hin zum abgerissenen Stück Zeitungspapier über die Leinwand, wäscht sie aber bei Bedarf auch wieder aus; durch solches Vorgehen entstehen die delikatesten Farbverläufe. Wenn im Einzelfall mal ein Fitzelchen des besagten Zeitungspapiers auf der Bildfläche verbleibt, kann es Kock dort durchaus belassen: „Das hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun“, sagt er – der Bildfindungsprozess soll sichtbar bleiben. Abstrakt, konkret oder wie auch immer: Der menschliche Geist neigt nun einmal dazu, das, was er sieht, mit dem zu vergleichen, was er kennt. Dieses Phänomen ist Kock voll bewusst, und so hat er keine Probleme, eine Serie mit waagerecht angeordneten Strukturen „Horizonte“ zu nennen und eine andere, die sich über zentral gesetzte Kreisformen definiert, „Stille Sonnen“.

Klassische Naturdarstellungen sind es nicht, eher Bilder, die etwas Naturhaftes an sich haben. Ein weiteres Motiv sind Raster. „2009 habe ich viel figurativ gemalt“, erläutert Kock. „Das war eine Zeit, als in meiner persönlichen Umgebung viel passiert ist, Todesfälle und anderes. Irgendwann musste ich davon weg und habe nach etwas gesucht, das mir vor außen eine klare Struktur vorgibt.“ Dass der Künstler beim Raster fündig wurde, bedeutet noch lange nicht, dass er in statisches Vorgehen verfiel: Für den „Laubenparcours“ im Rahmen der Gartenregion Hannover pflanzte er am Lindener Berg eine Installation aus 900 orangefarbenen Pinseln in den Rasen und versah sie mit dem wortspielerischen Titel „Monokultur – Kocks Orange“. Die exakte Ausmessung der Abstände erreichte er dabei durch die Verwendung eines Estrichgitters aus dem Baumarkt: „Anschließend habe ich die Rasterstrukturen auf meine Malerei übertragen.“ Strukturen, die natürlich andererseits auch eine Einschränkung darstellen. Gegen diese begehrt Kock in jüngeren Arbeiten auf, indem er die Klebebänder, die bei der Erstellung verwendet werden, bewusst schief setzt oder gegensätzliche Formen ins Geschehen schmuggelt. Ein Bild, das unlängst in Hannovers städtischer Galerie Kubus zu sehen war, enthielt sogar die Aufschrift „The grid is painter‘s prison“ – „Das Raster ist das Gefängnis des Malers“. Wohlgemerkt, ein Rasterbild. Was Bernhard Kock bewegt, setzt er eben ohne große Girlanden um. Es fällt auf, dass er im Gespräch häufig das Wort „Naivität“ gebraucht und zwar in einem positiven Sinn, nämlich demjenigen von „Ursprünglichkeit“ oder „Unmittelbarkeit“.

Dazu passt eine Attitüde, die so gar nichts Versnobtes an sich hat – tatsächlich nennt sich Kock selbst nicht einmal Künstler: „Die Formulierung gebrauche ich nie. Ich bin Maler. So empfinde ich das, was ich tue.“ Und sollte es in der Malerei mal Schwierigkeiten geben, ist eine andere Idee sicherlich nicht fern. Einmal wöchentlich etwa zieht sich Kock in ein Tonstudio zurück und macht Musikaufnahmen, als echter Multiinstrumentalist, der von der Gitarre über das Schlagzeug bis zur Mundharmonika alles selbst spielt: „Vor einigen Jahren hatte ich in der Malerei eine Krise“, erzählt Kock, der so unterschiedliche Musikanten wie Lou Reed und den polnischen Avantgarde-Komponisten Witold Lutosławski schätzt. „Ich kam einfach nicht mehr weiter. Da war es genau der richtige Weg, mich zusätzlich in einem anderen Medium zu versuchen. Weil ich auf jeden Fall etwas tun muss – ich bin ein Produktionsjunkie.“ Klingt interessant? Ist es auch. Und dass der Künstler, pardon: Maler alles andere als kontaktscheu ist, kann man nicht zuletzt daran erkennen, dass er das nobilis-Gespräch als Anlass genommen hat, ein zusätzliches „Offenes Atelier“ einzurichten. Wer also am 18. März 2018 in der Zeit zwischen 11 und 18 Uhr in die Stärkestraße 27 kommen will: Bernhard Kock freut sich auf Sie.